Julius, Manfred Bendorf und ihre Familie
Der Weg von einem regionalgeschichtlichen Projekt zu einem nachhaltigen bürgerschaftlichen Engagement.
Julius Bendorf, geboren am 4 Januar 1915, war ein herausragender Sportler und Mitglied vieler Sportvereine in Ober-Ramstadt. Nach 1933 wurde er aus allen Vereinen ausgeschlossen. Noch bevor der NS Staat das gesetzlich regeln musste, arisierte sich im Mai 1933 der TV Ober-Ramstadt schon selbst.
Julius Bendorf wurde gemeinsam mit seinem Bruder Manfred schon früh, im August 1938, nach Paderborn und später nach Bielefeld in Zwangsarbeitslager deportiert. Anfang 1943 wird er in einem Güterzug nach Auschwitz überführt. An der berüchtigten Rampe in Auschwitz erlebt er die „Selektion“. Im Gegensatz zu älteren Leuten und Kindern ist er „arbeitsfähig“ und wird zusammen mit seinem Bruder in das riesige Arbeitslager der IG Farben AG Auschwitz –Monowitz transportiert.
Manfred Bendorf wird ermordet
Sein Bruder verletzt sich bei der Arbeit und wird in Auschwitz ermordet. Julius Bendorf erhält erst nach dem Krieg Gewissheit über den Tod seines Bruders. Julius selbst wird am Ende des Krieges auf Todesmärschen nach Dachau befördert. Er wird von der SS angeschossen, überlebt aber glücklicherweise auch das.
Er kommt kurz nach dem Krieg nach Ober-Ramstadt zurück und muss feststellen, dass zwischenzeitlich alle Ober-Ramstädter Juden deportiert wurden, darunter auch seine Eltern Dina und Joseph Bendorf und seine Großmutter Henriette, genannt Jettchen Benndorf. Wenig später erhält er Gewissheit: seine Eltern und Großmutter wurden in Theresienstadt und bei Trawniki 1942 ermordet. Sein Elternhaus befindet sich im Besitz von Fremden. Alle Besitztümer und Wertgegenstände, aber – und das ist wesentlich schlimmer- auch alle seine Habseligkeiten und Erinnerungsstücke sind verschwunden. Bei Nachfragen im Ort herrscht eisige Stille. Er hat nur noch wenige Freunde in Ober-Ramstadt. 1948 wandert Julius Bendorf schließlich nach Amerika aus und beginnt ein neues Leben.
Von der Verlegung von Stolpersteinen zur Verleihung der Ehrenbürgerwürde
Die Initiative zu Verlegung der Stolpersteine kam durch Schüler der Georg-Christoph Lichtenberg Schule zustande. Aus einem Unterrichtsprojekt mit Archivbesuch und Stadtrundgang entwickelte sich bei vielen Schülerinnen und Schülern ein intensives Interesse für das Thema und ein Engagement für eine verstärkte Erinnerungsarbeit.
Oberstufenschüler, die seit 2008 mit ihren regionalgeschichtlichen Arbeiten den Auschwitzgedenktag der Stadt Ober-Ramstadt gestalten, stießen die Idee der Verlegung von „Stolpersteinen“ an.
Betroffen von den Ergebnissen der Recherche zur NS-Geschichte in der eigenen Stadt, suchten die Schüler den Kontakt zu ehemaligen Ober-Ramstädter Bürgern. Besonders Julius Bendorfs Schicksal beschäftigte die Jugendlichen, seine Bilder als erfolgreicher Sportler und fröhlicher junger Mann stellten sie in das Zentrum ihrer ersten Plakate zum Thema „hinsehen statt wegsehen“.
Als die Adresse von Julius Bendorf in der USA herausgefunden wurde und klar war, dass Julius Bendorf noch lebt, schickte man ihm alle Plakate und Rechercheergebnisse der Schülerinnen und Schüler mit einem netten Brief – natürlich auf Englisch. 4 Wochen später kam eine Antwort: Julius Bendorf zeigte sich damals sehr gerührt und betroffen von der Anteilnahme und dem Engagement. Am Telefon, beim ersten Kontakt, wirkte Julius Bendorf jung, energiegeladen und freundlich. Witzig und geistreich verwickelte er seinen Gesprächspartner in eine interessante Konversation. Nach langen Gesprächen war klar, dass er und seine ganze Familie zu der Verlegung der Stolpersteine aus Los Angeles anreisen werden.
Am 13 März 2010 wurden dann unter großer Anteilnahme der Bevölkerung für Julius und seinen Bruder Manfred, für seine Eltern Dina und und Joseph, sowie für seine Oma Jettchen Bendorf Stolpersteine verlegt vor ihrem ehemaligen Haus in der Darmstädter Straße 22.
Julius Bendorf, der heute in Los Angeles lebt, kam damals nicht alleine, er kam mit seinen Töchtern und Enkelkindern und wohnte den Feierlichkeiten bei. Julius und seine Familie verbrachten viel Zeit mit den Schülern. In langen Zeitzeugeninterviews in der Schule, bei Stadtrundgängen, in vielen privaten Runden mit den Mitgliedern der Projektgruppe und bei gemeinsamen Besuchen des jüdischen Friedhofs entsteht eine intensive Beziehung. Besonders auch zwischen den Schülern und den fast gleichaltrigen Enkelkindern entstanden Kontakte und Freundschaften. Wie ist das Aufwachsen mit einem Opa, der den Holocaust überlebt hat, der seine komplette Familie verloren hat? Das waren die Fragen, die die Schüler bewegten.
Julius Bendorf kommt noch einmal wieder im selben Jahr, die Stadt feiert 700 Jahre Stadtrechte und er ist Teil der Feierlichkeiten. Auch eine Ausstellung zu seinem Leben und zur NS-Zeit wird von den Schülern für ihn gestaltet.
Der Beginn eines intensiven Kontakts mit seiner alten Heimatstadt.
„Der Kreis des Lebens hat sich für mich nun geschlossen“, sagt Julius Bendorf bei der Verleihung der Ehrenbürgerwürde der Stadt Ober-Ramstadt im Juni 2011 vor über 200 Gästen. Für ihn sei es eine große Genugtuung nun unter diesen Bedingungen nach Ober-Ramstadt zurückzukehren zu können. Vor allem der Kontakt und das Gespräch mit den Jugendlichen, hebt er hervor. Das Interesse und das Engagement der Schüler hilft ihm und macht ihn zuversichtlich für die Zukunft, sagt er. Er, der eine glückliche Kindheit erlebt hat in Ober-Ramstadt erkennt sich wieder in den Schülern, die im gleichen Alter heute sind wie er, als damals 1933 seine Welt zusammenbrach.
Am 4. Januar 2012 wird er 97 Jahre alt werden, täglich hält er sich mit Spaziergängen fit – am Telefon, beim ersten Kontakt, wirkt Julius Bendorf jung, energiegeladen und freundlich. Witzig und geistreich entspinnt er seinen Gesprächspartner in eine interessante Konversation.
Schnell setzte man sich mit der Stadt in Verbindung und erreichte eine Magistratsentscheidung: Die Stadt lädt Julius Bendorf zur Verlegung der Stolpersteine und den Erinnerungsfeierlichkeiten der Stadt am 13. März 2010 als Ehrengast ein.
Ein paar alte Bilder hat er auch mitgeschickt: ein Foto seines Jahrganges, ein Bild seiner Fußballmannschaft und seiner Turnerriege. Gerne würde er wissen, wer noch lebt und wen er nach so vielen Jahren wieder treffen könnte.
Die Projektgruppe der Georg-Christoph-Lichtenberg-Schule 2010: Jens Wissel, Franzisca Haffner, Rebecca Blatz, Tara Käsmeier, und Jan Hüther, Carmen Kehr, Mareike Lang, Johanna Warda, Daniel Tunn und Frank Büttgenbach (Der Text entstand 2011, kurz nach der Verleihung der Ehrenbürgerwürde)