Abraham Wartensleben (Bildmitte mit Scherpe) als Vorstandmitglied und Fahnenträger des TV-Ober-Ramstadt, ca. 1920 (Bild: Archiv des Vereins für Heimatgeschichte Ober-Ramstadt) 

Fast zu spät zu fliehen - Auswanderung in letzter Minute

Ein Kiddusch Becher aus Maryland mit einer Delle aus der Kristallnacht: Abraham und Ida Wartensleben 

Abraham Wartensleben, geboren am 4.12.1883 in Ober-Ramstadt, ging als junger Mann hier zur Schule und lernte später den Beruf des Kaufmanns. 1920 heiratet er Ida Haas und eröffnet mit ihr gemeinsam einen Textilladen in der Baustraße. Abraham Wartensleben war ein mit Orden geehrter Frontkämpfer des Ersten Weltkriegs, ein angesehener und allseits beliebter Bürger der Stadt. Er war im Gesangsverein aktiv und engagierte sich 27 Jahre lang im TV Ober-Ramstadt als Schriftführer, Vorstandsmitglied und Fahnenträger, bevor er wegen antisemitischen Anfeindungen austrat. Zeitzeugen erinnern sich an Abraham immer nur als einen “guten Mensch”, da er vielen in der schweren Zeit der Weltwirtschaftskrise geholfen hat.

Protest gegen die NSDAP Gründung in Ober-Ramstadt

Er stand der SPD nahe und engagierte sich seit 1930 öffentlich gegen die Anfänge der NSDAP in Ober-Ramstadt. In einem offenen Brief schrieb er, dass das „seit langem so gute Einverständnis der jüdischen und christlichen Gemeinde“ in Ober-Ramstadt durch die Hetze der Nazis zerstören werde und Juden zu „Menschen zweiter Klasse“ gemacht werden würden.

am 9. November 1938, in der sogenannten „Kristallnacht“ wird sein Wohn- und Geschäftshaus in der Baustraße völlig zerstört. Heute steht in einem kleinen Museum in Baltimore ein silberner Kiddusch Becher mit einer großen Delle: Der Becher wurde von SA- Männern bei der Zerstörung des Hauses der Familie Wartensleben aus dem Fenster geworfen und knallte aufs Straßenpflaster… Nachbarn hoben ihn auf und übergaben später Abraham den Becher.

Heute steht der Becher im „Jewish Museum of Maryland“, das Bild ist eine freundliche Leihgabe. 

Ruin und Flucht nach Amerika 

Wirtschaftlich ruiniert und enttäuscht steht seine Auswanderung nun allerdings auf der Kippe. Nach der Zerstörung seines Hauses zog er nach Darmstadt zu seiner Schwester bevor er im April 1940, mit Glück, aber wirtschaftlich ruiniert, in die USA emigrieren konnte.

Wo das alles hinführt war der Familie wohl leider schon länger klar: Schon 1937 hatten sie ihre 17jährige Tochter Ilse nach den immer schlimmeren Ausgrenzungen und Erniedrigungen nach Baltimore zu weitläufig Verwandten in Sicherheit gebracht.

Kein Neuanfang in der USA 

In Amerika schaffen er und seine Frau es nicht, sich wieder eine eigene und dauerhafte wirtschaftliche Existenz aufzubauen. Auch Englisch lernt er nicht mehr richtig. Engagiert hat er sich aber auch wieder in seiner neuen Heimat, nämlich in einem jüdischen Beerdigungsverein, der verarmten Gemeindemitgliedern wenigstens eine würdevolle Beerdigung zukommen lassen will. In einem Nachruf des Vereins “Chevrar Ahavas Chesed” würdigt der Verein das verdiente Mitglied.
Abraham stirbt verarmt am 19. August 1949, im Alter von nur 65 Jahren, seine Frau Ida stirbt 1978.

LK Geschichte GCLS 2013