Deswegen - 75 Jahre Grundgesetz
Das Projekt „Deswegen! 75 Jahre Grundgesetz“, setzte sich aus einem archivpädagogischen Streetart-Workshop, als auch aus einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung mit der Verfassungsrichterin Astrid Wallrabenstein zusammen.
Schüler*innen zeigten, was ihnen persönlich das Grundgesetz heute bedeutet und diskutierten mit dem Darmstädter Oberbürgermeister Hanno Benz und der Verfassungsrichterin über die Gefährdungen und die Wehrhaftigkeit unserer Demokratie. Eine Veranstaltung am 06.06.2024, kurz vor der Europawahl, die nochmal zeigte, wie wichtig das persönliche Engagement jedes Einzelnen für den Schutz von Menschenrechten und Demokratie ist.
Die Ausstellung „Deswegen! – 75 Jahre Grundgesetz“ zeigt auf innovative Weise, warum das Grundgesetz so formuliert ist und welche Bedeutung es noch heute für unser Zusammenleben hat.
Das Ziel der Ausstellung
23 Darmstädter, Bensheimer und Ober-Ramstädter Schülerinnen und Schüler präsentieren gemeinsam mit dem Künstler Jörn Heilmann ihre Auseinandersetzung mit dem Grundgesetz. Die Ausstellung zeigt Street-Art, ist aber auch durch Austellungsobjekte, Texte und Tonaufnahmen erlebbar. Ausgangspunkt waren unter anderem Akten aus der NS-Zeit, aber auch die Nachlässe und Lebenswege der 6 hessischen „Mütter und Väter“ des Grundgesetzes. Dabei ist nicht nur eine anregende und spannende Ausstellung entstanden, sondern auch ein „bunte“ Botschaft für heute.
Den Anfang machte Klaus Müller mit einem Vortrag über „Die Hessen und das Grundgesetz“, sodass die Schülerinnen und Schüler eine Einführung in das doch sehr komplexe Thema bekommen konnten.
Kunst und Archivpädagogik
Warum immer nur Texte schreiben? Streetart und Archivarbeit können eine sehr anregende, inspirierende und aussagestarke Kraft entwickeln. Es entstehen Kunstwerke, die über den alltäglichen Horizont von Schule herausragen. Aus der Beschäftigung mit Akten, Tagebüchern, Bildern und Objekten werden so lebendige Statements. Erkenntnisse werden plastisch und Farbe und Fantasie können Gedanken und Worte zu Kunst werden lassen.
23 Schüler:innen starteten am 16. Mai im Staatsarchiv Darmstadt, gemeinsam mit dem Graffiti Künstler Jörn Heilmann und dem Archivpädagogen Harald Höflein mit dem Archivteil des Workshops.
Herausgekommen sind acht Kunstwerke, die bis Anfang September im Hessischen Staatsarchiv zu sehen sein wird. Danach werden die Bilder auch noch durch mehrere Schulen in der Region wandern.
Die Ausstellung
"Wolken über dem Grundgesetz"
Sofia und Lea (LGG Darmstadt)
Das Grundgesetz vor einem Sonnenaufgang, mit den dunklen Wolken der Vergangenheit darüber. Die NS-Zeit war 1949 noch überall im Alltag präsent. Ludwig Bergsträsser schreibt teilweise, einfach aus Papiermangel, seine Mitschriften aus den Beratungen aus dem Parlamentarischen Rat auf alten NS-Abrechnungsbögen...
"Die Hände des Grundgesetzes"
Fiona, Sophia (Bensheim). Was bedeutet das Grundgesetz für dich? Mit einer Umfrage in ihrer Schule haben die beiden herausgefunden, was ihre Mitschüler an unserem Grundgesetz schätzen. Gleichzeitig haben sie die hessischen "Mütter und Väter" des Grundgesetzes Ludwig Bergsträsser, Georg-August Zinn, Christian Stock, Walter Strauß, Elisabeth Selbert und Heinrich von Brentano auf ihrem Bild verewigt.
"Unantastbar"
Ludwig Bergsträßer, der unseren Artikel eins im Grundgesetz stark geprägt hat, wird vor den demokratischen Farben der Deutschlandfahne verewigt. Gerade durch seinen besonderen Einsatz und Formulierungsvorschläge hat die Menschenwürde einen solch hohen Rang in unsererem Grundgesetz und - so hoffen wir - in unserer und Gesellschaft.
"Frauen in Deutschland"
Sofia (Ober-Ramstadt) bezieht sich auf den Gleichstellungsartikel im Grundgesetz und setzt mit ihrem Bild ein Statement für den Einsatz für Frauenrechte heute. Ihre Message nach Elisabeth Selbert: "...dass wir zwar heute die Gleichberechtigung für unsere Frauen haben, dass aber diese Gleichberechtigung immer noch eine rein papierne ist."
"Eine hessisch-jüdische Familie"
Ben, Jonathan und Jens (LGG), mit einer großen Landkarte Hessens und herausschauenden "Judenkennkarten" aus der NS-Zeit. Die Kennkarten sind Dokumente der rassistischen Ausgrenzung. Aus deutschen Mitbürgern und Nachbarn wurden dadurch amtlich "Nichtdeutsche", die man entrechtete, erniedrige und am Ende in die Vernichtung deportierte. Markiert sind die ehemaligen Wohnorte der Familie Reiß, von der fast niemand überlebt hat. Heute schützt das Grundgesetz nicht nur vor Ausgrenzung und Rassismus, sondern speziell mit dem Artikel 16 davor dass man Deutschen einfach die Staatsbürgerschaft entziehen kann. Für die Arbeit an den Arcihvmaterialien war für die Schüler beeindruckend, „wieviel Leben in eine Mappe passt“.
"Der Weg zur freien Wahl"
Jonas, Cosmina und Lisa (GLCS) beschäftigten sich damit, wie wichtig faire und demokratische Wahlen sind. "Wahlen sind nicht gleich Wahlen" war ihre Erkenntnis. Historische Wahlzettel, zum Beispiel aus der NS-Zeit, zeigen das deutlich. Das Grundgesetz steht für Vielfalt und Pluralismus, auch bei Wahlen.
"Gräueltaten und Grundgesetz"
Silvan (Goethe-Gymnasium Bensheim) hat sich mit Prozessakten aus der NS-Zeit befasst. In Sondergerichten wurden Menschen wegen ihrer von der NS-Ideologie abweichenden Meinungen oder ihrem Verhalten brutal verfolgt. In den Debatten des Parlamentarischen Rates waren die Erfahrungen aus der "Rechtsprechung" der Nazis, die kriegerische Zerstörung Europas und der Holocaust immer präsent. "Deswegen" ist das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit im Artikel 20 zentral.
Die Würde des Menschen ist: "unverletzlich?"
Ash und Marlena (Goethe-Gymnasium Bensheim) beziehen sich auf die Debatte um den Artikel 1 des Grundgesetzes: Welcher Artikel sollte das neue Grundgesetz einleiten und wie sollte es genau formuliert werden? "Die Würde des Menschen ist unantastbar" gilt nämlich seit 1949 für alle Menschen ohne Einschränkung - natürlich auch für die vier dargestellten Menschen deren Würde der Artikel auch schützen soll.
Ein Abend mit Jugendlichen und der Verfassungsrichterin Astrid Wallrabenstein
Im vollbesetzten Karolinensaal im Hessischen Staatsarchiv folgten ca. 140 zumeist jugendliche Gäste den Grußworten des Bürgermeisters Hanno Benz und Klaus Müller vom „Verein gegen Vergessen-Für Demokratie“. Beide betonten, wie wichtig der Erhalt die Werte der Verfassung und die Demokratie für unser Zusammenleben sei und, dass die Verteidigung dieser Demokratie im Alltag unser aller Bürgerpflicht sei.
Auch der Chef des Staatsarchivs Herr Dr. Pons, freute sich in seiner Rede über den großen Zuspruch der Jugendlichen und lobte deren Engagement. Eine kurze Präsentation von Jugendlichen der Goethe-Schule aus Bensheim handelte von aktuellen Gefährdungen unserer Demokratie aus der Sicht von Jugendlichen. Tik Tok, Desinformation im Netz und die Befindlichkeiten heutiger Jugendlicher waren ihre zentralen Themen. Sie boten einen guten Übergang zu dem Vortrag der Verfassungsrichterin Astrid Wallrabenstein, deren Hauptpunkt war, dass unsere liberale Demokratie, in der momentanen Form, doch schnell auch abgewandelt oder sogar abgeschafft werden könne, wenn sich breite Schichten von demokratischen Werten abwenden und rechte Politiker an den Schaltstellen der Macht seien.
In der anschließenden Diskussionsrunde mit den Schülerinnen und Schülern und allen Gästen im Saal ging es auch darum, wie Demokratie es schaffen kann, wichtige Werte in einer Gesellschaft zu erhalten und dadurch ein stabiles Zusammenleben zu ermöglichen. Außerdem ging es um Fragen zur Barrierefreiheit und den Grundrechtseinschränkungen während der Pandemie. Frau Wallrabenstein zeigte sich offen und kommunikativ und fand stets überzeugende Antworten, sodass man die Entscheidungen, die das Bundesverfassungsgericht getroffen hatte, verstehen konnte.
Insgesamt war es ein gelungener Abend und ein starkes Zeichen, warum wir die Demokratie brauchen und warum deren Verteidigung im Alltag uns alle betreffen sollte.