Ober-Ramstadt im Jahr 1942. Ein Tag im Krieg, am helllichten Tage
Heinrich Wartensleben wurde am 20.März von Darmstadt aus nach Polen deportiert und im Raum Lublin/ Piaski der sogenannten Endlösung zugeführt. Trawniki, Majdanek, Sobibor, Belcec – wir können heute nicht mehr genau ermitteln in welchem der zahlreichen Lager er dort ermordet wurde. Allerdings liegen uns viele Berichte von den grauenhaften Verhältnissen dort vor. Er ist einer von vielen aus Deutschland und ganz Europa, ein Bürger aus Ober-Ramstadt.
Heinrich, geboren am 21.04.1883 und Berthold waren die Söhne von Isaak und seiner Frau Fanny Wartensleben. Isaak Wartensleben war ein wohlhabender Kaufmann, der auch Mitgründer der Volksbank wurde. Während Heinrich, wie sein Vater, ein erfolgreicher Kaufmann wurde, studierte sein Bruder Berthold an der Universität in München Medizin und promovierte. Laut den Odenwälder Neueste Nachrichten vom 14.Dezember 1911 wird der „erfahrene Kaufmann Heinrich Wartensleben“ sogar als „Vorsitzender der Sanierungskomission im Modauer Genossenschaftsbank Skandal“ erwähnt. Er soll helfen, die angeschlagene Bank zu retten.
Heinrich lebte bei seinen Eltern in der Grabengasse 3. Sein Bruder Berthold hingegen war mit einer evangelischen Frau verheiratet und lebte in Berlin, wo er eine Arztpraxis besaß. Nach der Machtergreifung 1933 scheint Berthold sehr schnell die Bedrohungen der Zeit erkannt zu haben. Auf einem Bild aus dem Nachlass von Berthold Wartensleben sehen wir Heinrich in der Arztpraxis seines Bruders sitzen. Wahrscheinlich ist es eines der letzten Treffen. Zwischen den ärztlichen Gerätschaften sitzt Heinrich am Schreibtisch und wirkt sehr nachdenklich. Kurz darauf flüchtet Berthold mit seiner Frau nach Amerika. Aber die Flucht gestaltet sich sehr schwierig, sie dürfen so einfach nicht in die USA einreisen.
Die Reisepässe von Berthold und seiner Frau zeigen eine Flucht um die halbe Welt, bis sie endlich 1939 in den USA ankommen.
Berthold hatte seinen Bruder auch schon immer gewarnt, er sollte sich doch auch rechtzeitig retten. Heinrich dagegen war immer der Meinung, dass es schon nicht so schlimm kommen würde. Aber die Maßnahmen und Sanktionen gegen die Juden wurden immer bedrohlicher. So wird Heinrich 1933 aus dem Gesang- und Turnverein ausgeschlossen und 1936 aus dem Wirtschaftsleben des Ortes herausgedrängt. Der Druck wird immer größer ihre Geschäfte ganz zu schließen und ihr Eigentum erheblich unter dem normalen Wert zu verkaufen. Auch auf Heinrich wird Druck ausgeübt, das beweisen Dokumente – aber, Heinrich und Berthold hatten bereits ihren Besitz auf die nichtjüdische Schwester von Bertholds Frau überschrieben. Die „arische“ Herkunft der Schwester schützt vor der willkürlichen Enteignung ihres Hauses, das wird aus den Briefen aus dem Stadtarchiv klar. Dennoch wird, allerdings erfolglos, Druck auf die Schwester ausgeübt.
Was bleibt von Heinrich Wartensleben? Ein paar Bilder, ein paar persönliche Briefe und sein Name auf einigen Dokumenten aus dem Stadtarchiv.
Auf einem Dokument von 1940 finden wir noch seine persönliche Unterschrift unter einem Ausgangsverbot für alle erwachsenen Juden Ober-Ramstadts.
Hier wohnte ein Mensch!
Wir möchten auch seinen Verwandten, der Familie Strassburger aus Köln, danken ohne deren Hilfe und Dokumente wir nicht weiter gekommen wären.
LK Geschichte 2014