History meets Art - Abraham Wartensleben

Abraham Wartensleben war Mitglied einer der bekanntesten jüdischen Familien in Ober-Ramstadt. Neben seinem aktiven Auftreten gegen die radikale NSDAP war er Vorstandsmitglied und Fahnenträger des TV Ober-Ramstadt. Sein Engagement im Ober-Ramstädter Turnverein sowie auch im Gesangsverein nahm einen großen Teil seines Lebens ein. Abraham und die Familie Wartensleben hatten viel Positives für die Stadt und ihre Mitmenschen beigetragen. Aufgrund seiner großen Hilfsbereitschaft gegenüber Nachbarn und Mitbürgern hatte Abraham einen sehr guten Ruf. Auch anderweitig war er aktiv und unterstützte, obwohl er wohl kein Mitglied war, die SPD mit viel Engagement. Die zwei roten Schattenrisse, die hinter ihm dargestellt sind, symbolisieren also nicht nur seine Gesangskamerad*innen sondern auch seine Unterstützung der SPD.
Es war uns wichtig, seine Verbundenheit und seinen positiven Einfluss auf Ober-Ramstadt und die Gemeinde darzustellen. Aufgrund dessen wollen wir dieses Graffiti Abraham widmen, um an sein aktives Engagement als Ober-Ramstädter Bürger zu erinnern.

Am Projekt mitgewirkt haben:
Fynn Kraffczyk, Klara Strauch, Madelaine Kress, Ava Menger, Marla von Werner, Jasmin Jockel, Dyiar Agkoc, Sophia Michaelis, Agnes Michaelis, Johanna Staude, Maja Hermann, Christine Rusam, Mio Schott, Maximilian Grochowski, Ella Streichert, Julian Karg
Lea Kimmerle, Harald Höflein, Jörn Heilmann
Synagoge
Die ehemalige Ober-Ramstädter Synagoge, war ein wichtiger Bestandteil des Lebens in der Stadt. Sie hatte bis zu ihrer Zerstörung in der Pogromnacht 1938, ungefähr 75 Gemeindemitglieder. Vielen ist heute nicht mehr bewusst, dass die Synagoge seit 1885 im Zentrum von Ober-Ramstadt am Platz bei der jetzigen Sparkasse stand, wo auch heute noch eine Steintafel an sie erinnert. Die jüdische Gemeinde war ein essenzieller Teil unserer Stadt und das Miteinander in der Gesellschaft eine Selbstverständlichkeit.
Abraham Wartensleben war in den Jahren vor ihrer Zerstörung der letzte Synagogenvorsteher und die Synagoge somit auch ein wichtiger Teil seines Lebens.
Uns war es wichtig dieses Gebäude wieder ins Stadtbild zurückzubringen, um daran zu erinnern, dass es früher eine sehr lebendige jüdische Gemeinde in Ober-Ramstadt gab, in der Abraham Wartensleben eine wichtige Rolle gespielt hat. Die Tür zur Synagoge haben wir absichtlich ein bisschen geöffnet, um zu symbolisieren, dass die Gemeinde, im Zentrum der Stadt, immer für Menschen offen war.


Anzug
Der braune Anzug mit dem Etikett und den Initialen „A W“ steht für Abraham Wartensleben, der am 04.12.1883 in Ober-Ramstadt geboren wurde. Abraham eröffnete mit seiner Frau Ida einen gemeinsamen Textilladen in der Baustraße. Anzüge von Abraham Wartensleben waren damals beliebt.
2014 wurde aufgrund einer Ausstellung, noch ein Anzug von Abraham Wartensleben gefunden.
Dieser Anzug steht hier symbolisch für das Geschäft und das Lebenswerk des Paares, welches am Ende vollständig zerstört wurde.
Vielleicht befindet sich sogar heute noch der ein oder andere seiner Anzüge auf einem der Ober-Ramstädter Dachböden.
Demonstration gegen die NSDAP
Die Demo war ein Zeichen des Protests gegen die NSDAP, welche in Ober-Ramstadt im Jahr 1930 eine Ortsgruppe gründete. Abraham Wartensleben war ein Mitglied der SPD, welche sich am meisten gegen die NSDAP gewehrt hat. Als Teil dieser Partei und vor allem als Teil der Hauptzielgruppe der NSDAP, ein Jude, nahm er auch an den Protesten teil.
Die Drei Pfeile:
Auf dem Bild ist ein Schild mit drei Pfeilen zu sehen. Der „Dreipfeil“ oder auch „Die Drei Pfeile“ war ursprünglich ein politisches Symbol der SPD und der Eisernen Front, welches Widerstand gegen die NSDAP zeigte. Es wurde von Carlo Mierendorff und Sergej Tschachotin erfunden und nach den Wahlen im November 1932 offiziell zum Symbol dieser Bewegung. Mittlerweile wird es jedoch auch international als Zeichen gegen rechte Politik genutzt. Jedoch stand es damals gegen Monarchismus, Kommunismus und vor allem Nationalsozialismus.
Warum das wichtig ist:
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Abraham Wartensleben ein sehr engagierter Mensch war, der wichtige Werte vertrat. Er setzte sich and der Seite seiner Partei für Demokratie und Toleranz ein, besonders in Zeiten, der Bedrohung durch die NSDAP. Deshalb verdient dieser Teil seines Lebens unserer Ansicht nach auch einen wichtigen Platz in unserem Bild.

Haus in der Baustraße
Am 10.11.1938 zog eine Gruppe von circa 200 Menschen, davon 20 SA Mitglieder in die Baustraße, zu Abraham Wartenslebens Haus. Ihr Ziel war es, sein Haus, seinen Besitz sowie auch die Häuser anderer Juden zu zerstören. Ein Nachbar von Abraham Wartensleben stellte sich gegen die Gruppe, obwohl er sogar selbst NSDAP Mitglied war. Die Gruppe ließ vorerst von dem Haus ab, nur um in der Nacht vom 11.11.1938 wiederzukommen und es bis auf die Grundmauer herunterzubrennen.
Das Bild wirkt für uns besonders eindrucksvoll und bewegend, weil es die Grausamkeit der Menschen gegenüber Abraham Wartensleben und vielen anderen jüdischen Mitbürger*innen zeigt. Obwohl Abraham sehr beliebt, engagiert und ein wichtiger Teil der Gesellschaft war, oder vielleicht gerade deswegen, wurde ihm und anderen die gesamte Lebensbasis entzogen, um ihnen klar zu machen, dass sie nicht länger dazu gehören werden. Abraham und seine Familie mussten realisieren, dass ihr gesamtes Leben zerstört war und dass sie doch fliehen mussten.
Wir haben unter dem Bild seines zerstörten Hauses seine Originalunterschrift nachempfunden, mit der er auf amtlichen Dokumenten unterschrieben hat.



Pass
Der Reisepass mit Stempeln verschiedener Länder steht allgemein symbolisch für die Flucht vieler Mitglieder der Familie Wartensleben, auch für die Flucht von Abraham. Vor allem steht der Pass für die schwierige Flucht von Berthold Wartensleben und seiner Frau mit dem Ziel am Ende in die USA auszuwandern zu können.
Da das Graffiti am Bahnhof ist, fanden wir, dass der Pass Bertholds (Stadtarchiv Ober-Ramstadt) ein Symbol für Aufbruch und Flucht ist. Wir haben die vielen originalen Einreisestempel in unser Bild integriert, denn sie betonen die zahlreichen Länder durch sie mussten am erst am Ende an ihr Ziel zu kommen.
Der Schatten Abrahams an seinem Grabstein in Baltimore
Wir haben seine Schärpe beim TV Ober-Ramstadt integriert, da wir hervorheben wollten, dass er sich in Ober-Ramstadt, aber auch in den USA ehrenamtlich beteiligt hat. Besonders wollten wir aber zeigen, dass er immer noch sehr an seinem „alten Leben“ hing. Uns war wichtig, seine kompletten Lebensdaten einzubringen.
In einem Nachruf auf ihn aus Baltimore steht, dass Abraham in den USA kein Englisch gelernt hat, finanziell sich keine neue Existenz aufbauen konnte und schon früh verstorben ist. Er fühlte sich in der USA immer noch sehr mit seiner Heimat verbunden, trotz der schlimmen Ereignisse. Diese Trauer wollten wir mit dem abgewandten dunklen Schatten symbolisieren.
Wir unten MD (Maryland), USA hingeschrieben, um den Ort klarzumachen, der auch mit der Blume später wieder aufgegriffen wird.
Kiddush-Becher
Abraham Wartensleben war der letzte Vorsteher der jüdischen Gemeinde Ober-Ramstadt, weshalb sie ihm den silbernen Kiddush Becher schenkten, in welchen eingraviert war: „In dankbarer Anerkennung die Isr. Religionsgemeinde Ober-Ramstadt“
Der Becher kann allerdings auch eine weitere Geschichte erzählen: Der Becher wurde während der Zerstörung des Hauses der Familie Wartensleben aus dem Fenster geworfen, weshalb er nun eine große Delle trägt. Nachbarn gaben ihm später diesen Becher zurück. Nachdem Abraham in die USA flüchtete, schloss er sich einem jüdischen Beerdigungsverein in Baltimore an, der sich um eine würdevolle Beerdigung für alle kümmerte, auch wenn sie verarmt waren. Dazu engagierte er sich auch sozial in der Gemeinde, weshalb sein Kiddush Becher nun auch im „Jewish Museum of Maryland“ zu finden ist.
Maryland-Blume
Wir wollten sein Leben in Ober-Ramstadt und in Maryland durch den Becher verbinden, da er an beiden Orten eine wichtige Verbindung zu seinem Glauben darstellte. Die gelbe Blume steht für sie Staatsblume von Maryland, die rote Blume spiegelt das Ober-Ramstädter Wappen wieder.
Als unser „Motto“ für dieses Graffiti wählten wir den Spruch „Seid Menschen!“, ein Zitat der Überlebenden des Holocausts, Margot Friedländer.
„Seid Menschen“ ist aktuell in unserer Zeit, eine wichtige Erinnerung daran, nicht die Gräueltaten unserer Vergangenheit zu wiederholen. Margot Friedländers Originalzitat betont: „Es gibt kein christliches, jüdisches oder muslimisches Blut. Es gibt nur menschliches Blut. Wir sind alle gleich. Seid Menschen!“
„Seid Menschen“ wäre allerdings auch schon zu Abrahams Lebzeiten eine wichtige Erinnerung gewesen.
