Die Evangelische Kirche Ober-Ramstadt im Nationalsozialismus
"... Rasse, Volkstum und Nation [sind] die uns von Gott geschenkte und anvertraute Lebensordnung, für deren Erhaltung zu sorgen Gottes Gesetz ist", Pfarrer Nürnberger im Juni 1933
Das relativ positive Verhältnis zwischen der evangelischen Kirche im Ort und der jüdischen Gemeinde verschlechtert sich während der Weimarer Republik. Ausgangspunkt war unter anderem die von rechten Medien verbreitete Dolchstoßlüge, die Juden und Sozialdemokraten die Schuld am verlorenen Ersten Weltkrieg gab. In der deutschen evangelischen Kirche machte sich in vielen Köpfen ein rückwärtsgewandtes, antidemokratisches Denken breit. Viele gingen auf Distanz zum Versuch einen demokratischen Staat aufzubauen und wünschten sich eine Rückkehr zum alten Kaiserreich. Zusätzlich bekamen auch antisemitische Strömungen in der evangelischen Kirche immer mehr Zulauf bis 1933.
Das hieß theologisch damals, die Ablehnung des Alten Testaments als ,,Judenbuch“, die Reinigung des Neuen Testaments und damit die Abschließung der ,,Entjudung“ der Bibel. Auch die Gestalt Jesu musste angepasst werden und nunmehr als „Arier“ definiert werden, als Abkömmling von ,,germanisch römischen Söldnern in Galiläa“.
In Ober-Ramstadt fanden sich hauptsächlich zwei große Lager, der politischen Wählerschaft wieder, diejenigen, die SPD und KPD wählten und dann der etwas größere Teil, der die NSDAP wählte. Auf Grund der Wählermehrheit begann man nach der Machtübernahme Hitlers sofort das ,,neue“ System zu greifen.
Der wirkungsvollste Agitator für den Nationalsozialismus in Ober-Ramstadt war Paul Nürnberger, Pfarrer von 1929 bis 1936. Seine positive Grundstimmung gegenüber dem Nationalismus verkündet er immer wieder in dem evangelischen Gemeindeblatt ,,Glaube und Heimat“, das monatlich erschien.
Der gläubige Christ wird pflichtbewusst beschrieben, stützend auf Bibel und Reichskanzler: ,,Er bekennt sich rückhaltlos zur Bibel und zum Glaubensbekenntnis. Er lässt sich erfüllen von echtem wahren Luthergeist, er ist Deutscher und Christ im umfassendsten Sinne. Er will vor allem das wiedererwachte deutsche Lebensgefühl, das wir unserem Volkskanzler Adolf Hitler verdanken, auch in der Kirche zum Durchbruch und Ausdruck bringen. Er sieht in Rasse, Volkstum und Nation die uns von Gott geschenkte und anvertraute Lebensordnungen, für deren Erhaltung zu sorgen Gottes Gesetz ist.“
Am 25. Juni 1933 besucht der Reichsstatthalter Sprenger die Stadt Ober-Ramstadt. Mit dem Choral „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ begrüßen die Posaunenchöre auf dem Marktplatz. Die Menge empfängt Reichstatthalter „freudig erregt mit Heilsrufen“ und zeigt den Hitlergruß, wie die Odenwälder Nachrichten berichten. Ortspresse berichtet. Sprenger ist außerordentlich erfreut darüber. Pfarrer Nürnberger bekennt sich in seiner Rede zum Nationalsozialismus:
,,Nur in Glaubenstreue und Gottvertrauen könne Großes geleistet werden zum Segen von Kirche und Volk, und das ganze deutsche Volk habe Anlass genug, dem Höchsten Lob und Dank zu sagen für die gütige Wendung des Schicksals, die wir erleben durften und die uns wieder hoffen lasse auf eine bessere Zukunft. “ Mit der „gütigen Wendung“ des Schicksals ist Hitlers Machergreifung gemeint.
In der nächsten Ausgabe des Evangelischen Gemeindeblattes “ Glaube und Heimat“ stellt sich Pfarrer Nürnberger gegen die Demokratie und Gleichheit aller Menschen, und kritisiert die Folgen der französischen Revolution, bei der die Menschen gegen ihre Unterdrückung gekämpft haben: ,,Sieg! Sieg darum, weil endlich das deutsche Denken und das deutsche Wollen und der deutsche Geist wieder die Oberhand gewonnen haben über den welschen ( französischen) Geist, der mit der französischen Revolution auch in unser Volk hineingeworfen worden ist… „
Pfarrer Nürnberger setzt sich ein für die Verschmelzung des evangelischen Glaubens mit dem Nationalsozialismus. Deshalb halten am 6. Juni 1933 NSDAP und Kirche gemeinsam eine Massenveranstaltung unter dem Motto ,,Volk und Glaube – Kirche und Reich“. Unter anderem wird verkündet, dass ,,der deutsche Christ vor allem das wiedererwachte deutsche Lebensgefühl will, das wir dem Volkskanzler Adolf Hitler verdanken, dies wollen wir auch in der Kirche zum Durchbruch und Ausdruck bringen. (…) Rasse, Volkstum und Nation ist die uns von Gott geschenkte und vertraute Lebensordnung, für deren Erhaltung zu sorgen Gottes Gesetz ist.“ Anders ausgedrückt gilt Rassismus nun als Vollzug eines göttlichen Gesetzes.
Diese innigen Verhältnisse zwischen Pfarrern und NSDAP überdauern Nürnberger. Ebenso nationalistisch und antisemitisch geprägt ist sein Nachfolger K.L. Berck. Das nationalsozialistische Vokabular macht sich bei beiden Pfarrern im Sprachgebrauch bemerkbar. Er schreibt in seinem Selbstporträt in der Gemeindezeitung, er hätte sich „verdient“ gemacht ,,in der Führung des nationalen Abwehrkampfes gegen französische Eroberungsgelüste und gegen die separatistischen Landesverräter, gegen Schwarze und Rote, Juden und Judengenossen“. Unter seiner Amtszeit wird die NS-Zeit sogar mit dem Königreich Jesu Christi verglichen.
Um 1938 beten jeden Sonntag Millionen Menschen für den Führer und später auch für den Endsieg: Einige Gebete lauten wie folgt: ,,Segne du unseren Kampf für die Ehre, für die Freiheit, für den Lebensraum des deutschen Volkes und sein Brot. Segne du unsere Wehrmacht auf dem Lande, zu Wasser und in der Luft. Segne allen Einsatz und alle Arbeit im deutschen Land, segne und schütze unseren Führer, wie du ihn bisher bewahrt und gesegnet hast…“, oder ,,Mit unserem großen Führer danken wir dem himmlischen Vater für seine sichtbare Führung und gnädige Bewahrung. Unser Gebet aber geht weiter zu Gott, daß er mit Euch und dem Führer sei, bis der Erzfeind und Unruhestifter Europas zerschlagen am Boden liegt.“
Die Pfarrer der evangelischen Kirche in Ober-Ramstadt während der Zeit des Nationalsozialismus waren alle Befürworter der nationalsozialistischen Ideologie. Sie haben dies auch zum Ausdruck gebracht in Predigten und Reden, ebenso wie schriftlich im Gemeindeblatt „Glaube und Heimat“. Sie haben das demokratische System abgelehnt und das schon vor der ,,Machtergreifung“ Hitlers.
Janina Freitag und Lucas Summer (LK Geschichte 2012)
Quellen: Die Zitate und Auszüge sind größtenteils entnommen aus „Glaube und Heimat“, die evangelische Kirchenzeitung Ober-Ramstadts, die bis Ende 1942 erschienen ist. Die Zitate zur deutschen Theologie sind aus dem Werk von Max Beweer, Der deutsche Christ, von 1907, also weit vor dem Nationalsozialismus.
Carmen Kehr, Die evangelische Kirche zur Zeit des Nationalsozialismus in Ober-Ramstadt, Besondere Lernleistung zum Abitur 2011.