Ober-Ramstadt

Am hellichten Tag

Die Massen-Deportationen von Juden aus Hessen 1941-42

Aus mehr als 250 Dörfern und Städten der hessischen Gebiete des Volksstaats Hessen und der preußischen Provinz Hessen-Nassau (im weiteren Hessen genannt), wurden von Oktober 1941 bis September 1942 in einem Zeitraum von nur elf Monaten in 15 Massendeportationen mehr als 15.500 jüdische Menschen verschleppt.

Die allgemeinen Deportationen der jüdischen Deutschen aus dem Deutschen Reich begannen Mitte Oktober 1941. Organisiert und durchgeführt wurden sie vom Reichssicherheitshauptamt (RSHA) in Berlin, der Zentrale antisemitischer und rassistischer Verfolgung und Vernichtung, deren Führungscorps als die „Kerngruppe des Genozids“ (Michael Wildt)* anzusehen ist. Die regional agierenden Gestapoleitstellen waren ihm unterstellt.

In Hessen waren diese in Frankfurt, Darmstadt und Kassel:
– die Gestapo Frankfurt war zuständig für Frankfurt und den restlichen Regierungsbezirk Wiesbaden,
– die Gestapo Darmstadt für den Volksstaat Hessen mit den Provinzen, Starkenburg, Rheinhessen und Oberhessen und
– die Gestapo Kassel war zuständig für das Gebiet des Regierungsbezirks Kassel.

Die Gestapo planten Massentransporte für etwa 1.000 jüdische Menschen.
Dazu organisierten die Gestapoleitstellen in ihren Regionen vorübergehende Sammellager:

– in Frankfurt die Städtische Großmarkthalle und ab August das Jüdische Altersheim im Rechneigraben
– in Darmstadt in der Liebigschule in der Lagerhausstraße
– in Kassel die Bürgerschulen 1und 2 in der Schillerstraße

Es gab auch in Schulen, Turnhalle, früheres Gemeindehaus einer Jüdischen Gemeinde regionale Sammellager in Wiesbaden, und Mainz, Friedberg und Gießen zur Zusammenführung vor dem Transport in eines der drei zentralen hessischen Sammellager.
Bei der Reichsbahn orderte das RSHA „Sonderzüge“, das waren für die hessischen Transporte Personenzüge 3. Klasse.

Bei der ersten Massendeportation aus Frankfurt am 19. Oktober 1941 waren die Menschen früh morgens von SA-Männern in ihren Wohnungen überrascht worden und mussten in wenigen Stunden ihren Koffer packen. Bei folgenden Deportationen gab es Vorankündigungen von einigen Tagen.
Die Menschen mussten für den bevorstehenden staatlichen Raub ihres Vermögens ihren gesamten Besitz minutiös in seitenlangen Vermögenserklärungen eintragen.
Die Betroffenen rechneten mit einer Ansiedlung im Osten unter schlechten Bedingungen und mit schwerer Arbeit.
Die Gestapo organisierte auf dem Land über die ihr unterstehenden Landräte und Bürgermeister die Verbringung der Menschen, deren Namen auf vorbereiteten Listen standen.

Nach den Vorschriften des Reichssicherheitshauptamt in Berlin waren Juden, die mit sogenannten „Ariern“ verheiratet waren, von den Massen-Deportationen in dieser Zeit ausgenommen. Ab Anfang 1942 auch die Weltkriegsteilnehmer und -verwundeten mit ihren Frauen und Kindern bis 14 Jahren.

Unter Androhung schwerer Strafen von Seiten der Gestapo wurden die jüdischen Menschen gezwungen ihre Wohnung zu verlassen unter Zurücklassung ihres gesamten Besitzes.

In dieser 2. Phase der Deportationen wurden die Menschen in fünf Massentransporten in die Region Lublin verschleppt. Hier gibt es einen einzigen Überlebenden.
Im August und September 1942 wurden dann in fünf Massenverschleppungen auch die alten Menschen verschleppt und zwar in das Ghetto Theresienstadt bei Prag. Von den zentralen Deportationsorten Hessens: Frankfurt, Darmstadt und Kassel führten die Züge der Deportierten in etwa drei Phasen an verschiedene Ziele:

In einer 1.Phase
Aus Frankfurt
19. Oktober 1941 in das Ghetto Litzmannstadt/Lodz im besetzten Polen
11. November 1941 in das Ghetto Minsk im besetzten Weissrussland
22. November 1941 nach Kaunas in das Fort IX in das besetzte Litauen
24. September 1942 nach Raasiku im besetzten Estland
Alle Menschen des Transportes nach Kaunas wurden drei Tage später im Fort IX erschossen.
Aus dem Ghetto Litzmannstadt gab es Transporte in das Vernichtungslager Chelmno.

In einer 2. Phase
Aus Darmstadt
25. März 1942 in das Ghetto Piaski bei Lublin, später in das KZ Majdanek
30. September 1942 in das Vernichtungslager Treblinka
Aus Frankfurt
8. Mai 1942 in das KZ Majdanek oder in das Ghetto Izbica bei Lublin
24. Mai 1942 in das KZ Majdanek oder in das Ghetto Izbica bei Lublin
11. Juni 1942 in das KZ Majdanek oder in das Vernichtungslager Sobibor
Aus Kassel
1. Juni 1942 in das KZ Majdanek oder das Vernichtungslager Sobibor
Aus den Ghettos gab es nach Wochen oder Monaten Transporte in das Vernichtungslager Belzec und das Vernichtungslager Sobibor.

In einer 3. Phase
Aus Frankfurt
18. August 1942 in das Ghetto Theresienstadt
1. September 1942 in das Ghetto Theresienstadt
15. September 1942 in das Ghetto Theresienstadt
Aus Kassel
7. September 1942 in das Ghetto Theresienstadt
Aus Darmstadt
27. September 1942 in das Ghetto Theresienstadt
Aus dem Ghetto Theresienstadt gab es Wochen oder Jahre später Weiter-Transporte in das Vernichtungslager Treblinka oder in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau.

Die Ermordung / der Tod von mehr als 15.000 hessischen Juden erfolgte zu sehr unterschiedlichen Zeitpunkten nach der Deportation – von mehreren Tagen bis zu einem Zeitraum von mehr als zwei Jahren nach der Verschleppung. Weniger als 500 der Deportierten erlebten die Befreiung.

Nach dem Abschluss der Massendeportationen gab es weitere ‚kleinere Deportationen‘, bei denen mehrere hundert Personen verschleppt wurden. Dabei ist eine regionale hessische „Aktion“ gegen jüdische Mischehepartner 1942-1944, die zum Tode mehrerer hundert Menschen in Auschwitz führte, hervorzuheben. Die letzte Deportation fand am 7. März 1945 aus Frankfurt statt, nur drei Wochen vor dem Einmarsch der Amerikaner.

* Siehe allgemein Michael Wildt: Generation des Unbedingten: Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes. Hamburg 2002.

Webseite des Fritz-Bauer-Instituts:

http://www.pz-ffm.de/stichwortdesmonats.html?&tx_ttnews[tt_news]=159&cHash=4a68da7fff66d52b11d3a4348b437007

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