Jüdisches Leben

Julius Bendorf und der Sport

Julius Bendorf ist am 4.1.1915 als Sohn einer jüdischen Familie geboren worden und in Ober-Ramstadt aufgewachsen. Sein Vater war Landwirt, Metzgermeister und ehemaliger Frontkämpfer im ersten Weltkrieg. Julius hatte nach eigenen Aussagen eine glückliche Kindheit, ohne rassistische Anfeindungen oder Ausgrenzung.  Er ging auf eine kleine private Volksschule in Ober-Ramstadt und später bis zur „Sekundarschulreife“ (Realschulabschluss) auf eine Schule in Darmstadt. Julius und sein Bruder Manfred gingen auch zum jüdischen Religionsunterricht in die Ober-Ramstädter Synagoge. In einem kleinen Hinterzimmer wurde dort einmal die Woche unterrichtet. Allerdings, besonders religiös waren sie, nach eigener Aussage, aber nicht gewesen. Allgemein seien die Ober-Ramstädter Juden keine streng gläubigen Juden gewesen, sie waren liberal. 

Nach seinem Schulabschluss hatte Julius große Probleme einen Job zu finden, da es durch die weltweite Wirtschaftskrise zu dieser Zeit eine hohe Arbeitslosigkeit gab.

1931 begann er eine Lehre bei der kleinen Privatbank Lehmann in Darmstadt. Sie dauerte drei Jahre.  Er verdiente 100 Reichsmark im Monat als er 1935 zum jüdischen Bankhaus Kahn und Schack wechselte, da das Bankhaus Lehman seine Pforten schließen musste.

1938 musste auch diese Bank aufgrund der Arisierungsgesetze geschlossen werden. Er lebte die ganze Zeit über noch in Ober-Ramstadt bei seiner Familie und musste, gemeinsam mit seinem Bruder Manfred, abends und vor allem Samstags noch bei seinen Eltern im Geschäft aushelfen.

Bereits als kleiner Junge mit zehn Jahren, trat Julius Bendorf dem TV Ober-Ramstädter bei, hier verbringt er mit seinen Sportkameraden und Freunden den größten Teil seiner Freizeit.  

Der Sport wird für ihn zum wichtigsten Teil seines Lebens und seiner Identität als junger Mensch.   

Der Nationalsozialismus im Ober-Ramstädter Sport

Schon früh hatte sich der TV-Ober- Ramstadt, ohne äußeren Zwang oder gesetzliche Vorgabe selbst gleichgeschaltet und die Prinzipien des neuen NS-Regimes durchgesetzt. In einer feierlichen Vereinsversammlung wurden schon Anfang Mai 1933 alle jüdischen Vereinsmitglieder aus dem Verein geworfen, das „Führerprinzip“ durchgesetzt und Wehrturnen als wichtigstes neue Aufgabe festgelegt. Das bedeutete für mindestens 20 jüdische Mitglieder und besonders für die ganze Familie Bendorf die gesellscahftliche Isolation und Ausgrenzung. 

Aus einem Interview mit Julius Bendorf, veröffentlicht von Helmut Beier 1988:

„In dem Ober-Ramstädter Sportverein, dem ich angehörte, gab es, wie ich später erfuhr, eine Reihe von Mitgliedern, die sich dem Nationalsozialismus bereits vor 1933 verschrieben hatten. Sie waren schon Mitglieder der SA oder der SS, ließen aber in der Zeit vor 1933 davon nichts durchblicken. Erst nach 1933, als sie den Rückhalt in der größer werdenden Masse der Gleichgesinnten fanden, rissen sie ihren Mund sehr weit auf. Dann haben sie damit geprotzt, daß sie schon ganz alte Parteigenossen gewesen seien. Sie waren sicherlich auch dabei, als vor 1933 die Aufmärsche stattfanden, und sich die Nationalsozialisten z. B. mit den Sozialdemokraten geprügelt hatten, aber das alles geschah immer zu einer Zeit, als es dunkel war, oder zumindest sehr spät. Wenn die Nazis durch die Gassen zogen, dann sind wir immer Verschwunden, denn niemand von uns wollte die Hand hochheben, um die Fahne zu grüßen.“

„Ich erinnere mich, daß, wenn die vorbeimarschierten und ihre Fahne vor sich hertrugen, auch vor 1933, daß man da nicht einfach an der Straße stehenbleiben und die Hände in die Hosentaschen stecken konnte. Die schlugen einem ins Gesicht. Bis 1933 haben sie sich mir gegenüber und auch anderen Juden gegenüber keineswegs feindselig verhalten. Sie haben mit uns zusammen die Sportfeste besucht; sie haben sich wie richtige Sportskameraden benommen und haben das auch nach 1933 fortgesetzt. Das änderte sich nicht von einem Tag zum anderen. Aber als dann diese besonderen Verordnungen, nur die Juden betreffend, herauskamen, haben sie uns eines Tages ganz lakonisch mitgeteilt: „Juden können nicht mehr in unserem Verein sein!“ Ich durfte also nicht mehr weiter mitmachen und ging daraufhin nach Darmstadt in einen jüdischen Sportverein. Alle Juden, die Sportler waren, und in den Darmstädter Vereinen oder auch in den Vereinen in der Umgebung von Darmstadt, also etwa in Messel, in Goddelau usw. tätig waren, fanden sich in diesem jüdischen Sportverein zusammen. Das war 1934.“

"Verbotener Fußball" Als gemeinsamer Sport schon durch die Nazis verboten war, spielten Julius und und Manfred Bendorf noch gemeinsam mit Freunden aus dem Arbeitersport in Ober-Ramstadt. (Ober-Ramstadt 1934, Datierung von Julius Bendorf)
"Verbotener Fußball" - als gemeinsamer Sport schon durch die Nazis verboten war, spielten Julius und Manfred Bendorf manchmal noch mit Freunden aus dem ehemaligen Arbeitersportverein in Ober-Ramstadt. (Ober-Ramstadt 1934, Datierung von Julius Bendorf)

„Dieser Verein konnte sich in Darmstadt auch nicht sehr lange halten, und so ging ich 1935 von Darmstadt weg nach Frankfurt in den jüdischen Verein SCHILD. Für diesen Verein bin ich vor den Olympischen Spielen 1936 noch in Berlin im Wettkampf gelaufen. Ich wurde 1935 Mitglied des olympischen jüdischen Kaders und zu einer Führerschule geschickt. In diesem Kader haben wir echt trainiert. Mir ist nicht bekannt, ob die Leute, und das waren keine Juden, sondern sog. „arische“ Sportler, die uns trainierten, davon wußten, daß wir nur zum Schein uns auf die Olympiade vorbereiteten. Die Trainer waren Angestellte des Reichssportbundes. Wir haben jeden Tag morgens 4 Stunden und nachmittags 3 Stunden hart gearbeitet.“

Julius als erfolgreicher Hochspringer auf dem Sportplatz des Sportvereins Schild Frankfurt am Buchrainweiher in Frankfurt. Julius gehörte zu den besten jüdischen Hochspringern seiner Zeit.
Der 1. Mai1933: Julius Bendorfs Blick aus seinem Fenster auf den Aufmarsch der Nationalsozialisten.

„Meine Disziplinen waren Kurzstreckenlauf und Hochsprung. Was ich vor 1933 in Ober-Ramstadt tat, ist natürlich nicht zu vergleichen mit dem, was ich später in Darmstadt oder Frankfurt, oder gar in diesem Trainingslager körperlich leisten mußte. In Ober-Ramstadt haben wir im wesentlichen geturnt, also Geräteturnen gemacht. Als Mitglied des Darmstädter jüdischen Vereins und auch des Frankfurter Vereins habe ich mich an vielen leichtathletischen Wettbewerben beteiligt. Hier in Ober-Ramstadt war das freiwillig und mehr spielerisch, während es in den späteren Vereinen sehr gezielt und planvoll und mit genauen Trainingsanweisungen vor sich ging. Die Leistungsverbesserung war unverkennbar, weil ich sehr häufig mit Sportlern aus anderen Vereinen in Wettkämpfen zusammentraf.“ 

„Mein Bruder Manfred war auch sportlich aktiv. Weil er sehr viel jünger war, war er natürlich nicht erfolgreich, zumal nach der Olympiade im Jahre 1936 auch diese Sportausbildungsstätten von den Nazis geschlossen wurden. Der Frankfurter jüdische Sportverein namens Schild hatte nach meiner Erinnerung über 25 Sportabteilungen, so etwa Boxen, Judo, Radfahren, Reiten usw. Am Untermainkai lagen einige Vereinssportboote, man hatte sogar ein eigenes jüdisches Schwimmbad am Main gehabt“.

Die erolgreiche Staffel von Schild Frankfurt, ca. 1935 auf dem Sportplatz am Buchrainweiher in Frankfurt. Julius Bendorf ist der vierte von links, Manfred Bendorf ist der fünfte (von Julius Bendorf selbst beschriftet)
Trainingslager der jüdischen Olympiaauswahl 1936 mit Julius Bendorf und Gretel Bergmann in der Mitte

„Als die Olympiade, die für 1936 in Berlin geplant war, bevorstand, wollten sehr viele Leute in USA verhindern, daß Amerika die Teilnahme zusagt; weil Hitler keine Juden zulassen wollte. Wenn man in Deutschland zur Olympiade zugelassen werden wollte, mußte man nämlich einem deutschen Club angehören, und Juden durften in keinem deutschen Verein sein. So kam es, daß die Amerikaner sagten: „Wir kommen nicht“. Die deutsche Reaktion darauf war für mich zunächst positiv. Man wollte hier alles daransetzen, die Amerikaner nicht zu vergraulen. Im Juli oder August 1935 erhielt ich deshalb mit anderen Freunden eine Aufforderung, mich in der Führerschule W. bei Karlsruhe zu melden. Dort war ich 3 Wochen mit etwa 30 jüdischen Sportlern und Sportlerinnen zusammen. Die gesamte Sportschule war für uns reserviert. Das alles geschah nur zum Schein. Nachdem nämlich die Amerikaner ihre Zusage gegeben hatten, hat man uns nicht mehr zum Wettkampf zugelassen“.