Wilhelm Leuschner, ein Leben für die Demokratie

Wilhelm Leuschner, 1890 in Bayreuth geboren, hessischer Innenminister 1928 bis 1933, Holzbildhauer, Gewerkschaftler und Familienvater, überzeugter Demokrat, SPD Mitglied und Widerstandskämpfer. Von Anfang an entschiedener Gegner Hitlers und der NS-Ideologie. Leuschner wäre Vizekanzler einer demokratischen Regierung Deutschlands nach einem gelungenen Stauffenberg Attentat geworden. Nach dem gescheiterten Attentat am 20. Juli 1944 festgenommen, verhört, gefoltert. Hingerichtet am 29. September 1944.

„Mein Leuschner“

Eine archivpädagogische Annäherung an die Person Wilhelm Leuschner

Über 50 Jugendliche aus verschiedenen Schulen hatten die Gelegenheit sich mit dem spannenden und beeindruckenden Nachlass Leuschners im Hessischen Staatsarchiv Darmstadt zu befassen. Die Schülerinnen und Schüler konnten sich die Objekte selbst aussuchen zu denen sie schreiben wollten.
Was sagen heutigen Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren die Briefe, die Tagebücher und die vielen persönlichen Habseligkeiten von Leuschner?  Entstanden sind dabei interessante und nachdenkliche Impressionen und Gedanken, nicht nur zu seinem Leben, sondern auch zu seiner Bedeutung für uns heute. „Mein Leuschner“ nannten die Jugendlichen ihre im September/Oktober 2021 ausgestellten Arbeiten, die größtenteils von Jugendlichen der GCLS-Ober-Ramstadt stammten. Im Februar 2022 gestaltete eine Arbeitsgruppe diese Webseite zu ihren Ergebnissen.

Wer war Wilhelm Leuschner?

Ärmliche Verhältnisse und eine Lehre als Holzbildhauer

Wilhelm Leuschner wurde am 15.06.1890 in Bayreuth geboren und kam aus ärmlichen Verhältnissen. Er erlernte nach dem Besuch der Volksschule den Beruf des Holzbildhauers und kam im Mai 1908 auf der Wanderschaft zur Hofmöbelfabrik Glückert, bei der er seit September 1910 als Möbelschreiner arbeitete und Möbel im Jugendstil entwarf.

Soldat im Weltkrieg und Begegnung mit der jüdischen Bevölkerung im ländlichen Polen

Er heiratete Elisabeth Batz und seine Kinder Wilhelm und Katharina kamen 1910 und 1911 auf die Welt. Er schloss sich früh der Arbeiterbewegung an und war schon 1909 Darmstädter Bezirksleiter des Centralvereins der Bildhauer Deutschlands. Im ersten Weltkrieg war Leuschner in einer Artilleriekompanie und musste mathematische Zielberechnungen aufstellen. Er war an der Ost- und Westfront, schrieb unermüdlich Tagebuch und lernte fließend Englisch und Französisch. Bemerkenswert sind seine Aufzeichnungen zu seiner Begegnung mit der jüdisch-orthodoxen Landbevölkerung in Polen. Sie zeigen seine interessierte, tolerante und menschenzugewandte Haltung. Obwohl ihm die sehr strenge orthodoxe Glaubensrichtung aus Deutschland eher unbekannt war.

Weg in die Politik und Vernetzung mit der demokratischen und kulturellen Szene der Weimarer Republik

Ab 1919 begann Leuschner sich noch stärker in der Gewerkschaftsbewegung zu engagieren. Er wurde hauptamtlicher Vorsitzender des ADGB in Darmstadt und wurde 1919 bis 1927 in die Stadtverordnetenversammlung gewählt. Hunderte von persönlichen Briefen im Staatsarchiv zeigen seine tiefen demokratischen Überzeugungen und seine Vernetzung mit einem großen Teil der demokratischen und kulturellen Szene der Weimarer Republik.

Volksbildung und ein demokratisches Theater für alle in Darmstadt

Als einer der Gründer der Darmstädter Volkshochschule erhielt er die Mitgliedsnummer 1. Der politischen Emanzipation der Arbeiterschaft, die seiner Meinung nach nur mit einer verbesserten Volksbildung einherging, widmete Leuschner auch einen großen Teil seiner Tätigkeit im Hessischen Landtag, in den er, seit 1914 SPD-Mitglied, 1924 gewählt wurde. 1924 bis 1933 gehörte er dem Theaterausschuss des Landtags an setzte sich stark für ein neues modernes und demokratisches Theater für alle Bevölkerungsschichten ein. Mit vielen Regisseuren und Schauspielern war er befreundet.

Hessischer Innenminister und Kämpfer gegen die Feinde der Demokratie

1928 wurde Leuschner zum hessischen Innenminister ernannt. Schon 1924 ist er einer der ersten Mitglieder, die dem demokratisch, republikanischen Reichsbanner Schwarz Rot Gold beitreten, das sich dem Terror der Rechten entgegen stellen will. Als Innenminister gehört nun, neben der Beschäftigung mit sozialen Fragen, dem Wohnungsbau, der Volksgesundheit und der Energie- und Verkehrspolitik, vor allem die demokratische Neuorganisation der Polizei im Vordergrund. Der politische Kampf gegen den aufstrebenden Nationalsozialismus im Zentrum seiner politischen Tätigkeit. Er deckte die Umsturzpläne der NSDAP in den Boxheimer Dokumenten auf und veröffentlichte sie. Auch gegen die Umtriebe der SA und der NSDAP ging er konsequent vor. Das machte ihn in ganz Deutschland bei den Nationalsozialisten verhasst. Er setzte sich für ein reichsweites Verbot der SA ein und scheiterte vor allem an Hindenburg. Auch die republikfeindlichen Bestrebungen der extremen KPD verfolgte er konsequent aber mit rechtstaatlichen Mitteln.

Machtübernahme der NSDAP in Hessen und erste KZ Haft

Dabei stützte er sich auf seine zuverlässigen Mitarbeiter, seinen Pressesprecher Carlo Mierendorff und den Staatsrat Ludwig Schwamb. Nach der letzten Reichstagswahl wird wenige Tage später am 7. März 1933 Leuschner und der SPD Ministerpräsident Adelung in Darmstadt von den Nationalsozialisten mit Gewalt aus dem Amt entfernt und geriet in Hausarrest. Der Gewerkschaftler Leuschner wurde im Mai 1933 vier Tage verhaftet, bedroht und misshandelt. Er sollte im Mai 1933 auf Druck der Nationalsozialisten auf der Internationalen Arbeitskonferenz in Genf, die internationale Anerkennung der „Deutschen Arbeitsfront“ und der Nazis erreichen. Leuschner reiste nach Genf, klagte dort aber den Terror der Nazis an. Direkt nach der Rückkehr wurde er daraufhin erneut verhaftet und saß zwei Jahre zuerst im Zuchthaus Rockenberg in Hessen, dann im KZ-Lichtenburg bei Torgau und später im Emslandlager Börgermoor.

Netzwerke des Widerstands und Hinrichtung

Nach seiner Entlassung im Juni 1934 gründete er eine Firma zur Metallverarbeitung in Berlin und baute von hier aus ein gewerkschaftsnahes Widerstandsnetz auf, da er in Firmengeschäften unbehelligt im gesamten Reich unterwegs sein konnte. Seine Freundin Elly Deumer wird in dieser Zeit eine wichtige Stütze und hilft, die geheimen Aktivitäten Leuschners zu decken. Auch zu dem eher konservativen Widerstand im Kreisauer Kreis nahm er Kontakt auf. Nach einem gelungenen Attentat Stauffenbergs auf Hitler sollte er in einer neuen Regierung Vizekanzler und Innenminister werden. Nach dem Scheitern wurde er verhaftet, zum Tode verurteilt und am 29.09.1944 in Berlin-Plötzensee hingerichtet.

Orte der Erinnerung zu Leuschner in Darmstadt

– 1945 wurde die von den Nazis 1938 zur Sudetengaustraße umbenannte ehemalige Wendelstadtstraße zur Wilhelm-Leuschner-Straße umbenannt.
– Die 1956 erbaute Schule in der Bessunger-Straße 195 erhielt seinen Namen. Dort wurde im gleichen Jahr eine von Herbert Kühn gestaltete Portraitplastik aufgestellt.
– Auf dem Waldfriedhof erinnert ein Gedenkstein an ihn.
– Im Gewerkschaftshaus in der Rheinstraße 50 steht im Hans-Böckler-Saal eine Büste Leuschners aus schwarzem Marmor.
– Im Regierungspräsidium befindet sich seit 1953 eine gemeinsame Gedenktafel für Ludwig Schwamb, Wilhelm Leuschner und Carlo Mierendorff.
– 1998 wurde am „Haus für Industriekultur“ in der Kirschenallee ein Bronzerelief Leuschners angebracht. In diesem Gebäude befand sich Anfang des 20. Jahrhunderts die ehemalige Möbelfabrik Alter, in der Leuschner als Holzbildhauer 1909 angefangen hatte zu arbeiten.
Seit 1964 verleiht das Land Hessen die Wilhelm-Leuschner-Medaille an Persönlichkeiten, die sich um die Demokratie verdient gemacht haben. 1966 wurden auch seine Frau Elisabeth Leuschner und sein Sohn Wilhelm damit ausgezeichnet.

Zusammengestellt und ergänzt nach Peter Engels, Beitrag im Stadtlexikon

Lit.: Leithäuser, Joachim G.: Wilhelm Leuschner. Ein Leben für die Republik, Köln 1962;

Wolfgang Hasibether: Ein Streiter für Einigkeit und Recht und Freiheit. Wilhelm Leuschner (1890-1944). In: Im Dienste der Demokratie.

Die Trägerinnen und Träger der Wilhelm-Leuschner-Medaille, hrsg. von der Hessischen Staatskanzlei, Wiesbaden 2004, S. 13-37;

Ulrich, Axel: Wilhelm Leuschner. Ein deutscher Widerstandskämpfer, Wiesbaden 2012;

Darmstädter Ehrengräber, Darmstadt 2016 (Darmstädter Schriften 105), S. 127-129.

Ein Projekt der Archivpädagogik des Hessischen Staatsarchivs Darmstadt

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